günther ist wieder da!



Ist es gestattet, Günther Wallraff etwas schrullig zu nennen?
Gibt er uns doch seit vielen Jahrzehnten den Rüdiger Nehberg des Sozialjournalismus und ermittelt unter Einsatz von Leib und Gesundheit an den unwirtlichsten Orten Deutschlands und manchmal auch anderer Länder.
Nach diversen journalistischen Under-Cover-Abenteuern in den Sechzigern und mutigen politischen Aktionen gegen Militärregierungen in Griechenland und Portugal, die ihm unter anderem auch Prügel und Knast einbrachten, muss ihm sein heute noch berühmtester Job als "Klaus Esser" bei der BILD-Redaktion in Hannover, der auf eine Menge Prozesse und mehrere Bücher hinauslief, fast einfach vorgekommen sein.
Und natürlich war es bei BILD, wie man sich's vorstellte.
Und natürlich ist BILD trotz allen Tamtams auch nach 30 Jahren noch die beliebteste Zeitung des Landes, in der die gerade frisch inaugurierte Regierung mit Vorliebe ihre Beschlüsse bekanntgeben wird, denn das Blatt ist ebenso Teil unserer Gesellschaft wie Reklame, Religion, Steuern und die FDP.
Günther stürzte sich, in der Öffentlichkeit allmählich weniger wahrgenommen aber von Größen wie dem kürzlich verstorbenen legendären Studs Terkel hochgeschätzt, weiter mit Heldenmut in die Vollen; zwei Jahre malochen als "Türke Ali", Reisen durch Israel während des ersten Golfkriegs, Besuch bei Kurdenführer Öcalan in Syrien, STASI-Unterstellungen seitens der BILD-Zeitung, Arbeit im Call-Center und einem Backbetrieb, und Anfang diesen Jahres war er noch auf Platte, alles en detail beschrieben und veröffentlicht. Jede Talkshow huldigte ihm als moralischem Maßstab, und in Schweden und Norwegen prägte man gar ein neues Verb "wallraffa" für eben seine Tätigkeit. Gibt es schon ein deutsches "wallraffen"?

In der Arbeitswelt hat sich derweil wenig zum Besseren gewendet.

Jetzt liess Günther sich gar mit dunkler Farbe besprühen und mischte sich mit Siebziger-Jahre-Hemd und grotesker Perücke als gebürtiger Somalier unters Volk, um ihm in seinem neuesten Film die Maske von der rassistischen Fratze zu reissen.
Auf Photos sitzt da ein seltsamer Vogel mit Leidensmiene allein auf der Bierbank und erwartet Ausgrenzung, Beschimpfung, Demütigung, Misshandlung.
Der Schäferhundeverein nahm ihn nicht auf, und er bekam auf einem Campingplatz keinen Dauerstellplatz. Im Bus von Cottbusser Fussballfans fand er so lange renitente Widerworte, bis es fast auf die Schublade gab. Eine Verkäuferin im Juweliergeschäft wollte ihm eine teure Uhr nicht aushändigen. Eine dämliche Vermieterin fühlte sich deutlich unbehaglich.
Bei aller Liebe: für ein Kamerateam, das sicher gierig auf polarisierende Brisanz war, eine etwas magere Ausbeute. Da gings einem John Howard Griffin noch weit übler. Der Vergleich hinkt allerdings.

Die ganze Undercover-Sozialgeschichte- von- unten-aus-der-Sicht-der-Betroffenen ist eh so eine Sache.
Man erinnert sich an einen soziologischen Klassiker ("Dorf in der Vaucluse", Laurence Wylie 1957) der die empirische Methode der "Teilnehmenden Beobachtung" ins Leben rief. Das Buch impliziert eine für die Beobachteten völlig folgenlose feldforscherische Arbeit.

Besagtes Dorf, es wurde Jahre später publik, war das südfranzösische Roussillion, schon damals seiner in vielen Braun- und Rottönen leuchtenden Häuser und Ockerbrüche wegen weithin berühmt.
Nicht zuletzt hatte hier Samuel Beckett mit seiner jungen Frau als Tagelöhner gelebt, nachdem seine Resistance-Zelle 1942 an die Gestapo verraten worden war. Die abstrakte Szenerie seines berühmtesten Theaterstücks "En attendant Godot" von 1949 spiegelt noch die Kahlheit dieser provencalischen Steinbrüche wieder.
Und nicht zu vergessen beginnt einer der rührendsten Filme des großen Fernandel in Roussillion: "Heureux qui comme Ulisse..." von 1970. Ist nach einem Lied von Georges Brassens betitelt.

Professor Wylie und Frau liessen sich also keineswegs in einer namenlosen austauschbaren Gemeinde als Lehrer nieder, noch blieb sein bald darauf in interessierten Kreisen sehr berühmtes Buch für den Ort ohne Folgen. Horden von Soziologiestudenten fielen ein.

Von Konsequenzen dieser Tragweite kann unser schrulliger Günther nur träumen...

trübe tasse vom april bis september

Bei aller Faszination für die US-amerikanische Parteilandschaft sei nicht das Ausscheiden eines unserer profiliertesten Politiker aus dem Bundestag vergessen!

westerwelle, merz
Nein, nicht Minister Westerwelle, sondern sein Wanderfreund Friedrich Merz, luzidester CDU-Vorsitzender des letzten Jahrzehnts und damit Rivale der Kanzlerin und von dieser machiavellistisch routiniert kaltgestellt.
Dabei bot seine Biographie in ihrer Wechselhaftigkeit doch alle Voraussetzungen für eine grundsolide Sicht der Dinge. Als Knabe Ministrant bäumte Friedrich sich als Heranwachsender mit aller rebellischen Wildheit gegen die bürgerliche Enge seiner Heimatstadt auf und verbreitete in verwegener Aufmachung und auf seinem PS-starken Zündap-Moped Furcht und Schrecken unter den Spießern.
Nur glückliche Umstände bewahrten ihn vor einem kurzen wilden Leben als Gesetzesbrecher und veranlassten ihn zu einem Eintritt in die CDU und einem Studium der Rechte. Alsbald schlugen seine Kompetenz, seine Rednergabe und sein Charisma eine breite Bresche in höchste Ämter der Republik.
Unvergessen sein Begriff von der "deutschen Leitkultur" und sein heroischer juristischer Widerstand gegen das Gesetz zur Offenlegung der Nebeneinkünfte von Parlamentariern.

Fritz, mögen dir eben diese schon immer reichlich sprudelnden Nebeneinkünfte zu einem Leben in Wohlstand und gesellschaftlicher Anerkennung gereichen!

Doch das parlamentarische Leben muss weitergehen, und es stellt sich die dringende Frage:

cornelia pieper

Was wird nach dem strahlenden Sieg der Freien Demokraten wohl jetzt aus der ehemaligen LDPD-Blockflöte Cornelia Pieper?

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