Zu MTs prägenden Kindheitserlebnissen gehört die Einführung eines zweiten Fernsehprogramms und des Farbfernsehens.
Großvadder hatte einen der ersten Colorfernseher in der Straße, und man konnte einen Sommer lang JEDEN Nachmittag in seinem verdunkelten Wohnzimmer "Cartouche der Bandit" anschauen, der Beginn von MTs lebenslanger Begeisterung für "Bebel" Belmondo.

Vorher waren da Wally Cox als Hiram Holiday und der blutjunge Roger Moore als Sir Ivanhoe, Turnen mit Adalbert Dickhut und Hirschefüttern im Harz und Arnim Dahl sprang fortwährend durch Glastüren, Leuchtfeuer an Sensationen im öden kirchlich durchwirkten Knabendasein.
"Bonanza" einte sonntäglich die gesamte Familie einschliesslich Verwandten vor dem Hausaltar, und jede Folge wurde lebhaft kommentiert, der Vetter schleppte zum "Beatclub" sein Schlagzeug ins Wohnzimmer und Helmut Zacharias geigte die Erwachsenen mit blödem Lurchgrinsen voll, Ede Zimmermann weckte den Blockwart in uns.
Jede Sendeminute barg neue Überraschungen und Gesprächsstoff, und jeder kannte das Wochenprogramm auswendig.
Und jetzt, nur ein paar Jahrzehnte später, das.
MT zappt sich täglich verzweifelt durch 40 Programme und kann in diesem Elendspanoptikum aus Bild und Ton selbst für seine bescheidenen Ansprüche nichts mehr finden.
Vielkindrige steißtätowierte Prekariatsangehörige in Camouflagemode beplärren und begeifern sich, eine geschlossene Riege von beliebig verfügbaren Lohntütenprominenten unterstützen in ständig wechselnden Kombinationen Narzissmus, Kretinismus, Heuchelei, Analphabetentum und Idolatrie zur besten Sendezeit.
Und immer mehr Jungerwachsene halten pubertäre Wettbewerbe für eine Spiegelung des wahren Lebens und stehen Schlange für zuchtferkelartiges Fleischbeschauen und babylonische Unterwerfungsriten.
Und jeder schwafelt und labert, rababert und bramarbassiert, ramentert und seibert, jammert und schwallert, sülzt und lallt, deklamiert und salbadert was das Zeug hält.
In diesem obszönen Urschlamm täglichen Trübsinns gibt es nur ein sauberes Unterhaltungsformat, das die Menschen durch Harmonie und menschliche Werte, Freude und Besinnlichkeit erhebt.
Volksmusik.
Vreni und Rudi singen, "Unser Bernhardiner, der ist ein Schlawiner...", und die "Ladiner" reimen
"Neige dich vor grauem Haar,höre zu, was früher war,Weisheit kommt aus ihrem Mund,weise Worte sind gesund!"
Wer möchte das nicht unterschreiben? Doch wie soll man die Jugend jemals für diese unsterblichen Erkenntnisse interessieren?
Höchste Zeit, dass das sicherste Mittel, Aufmerksamkeit zu bekommen, in die volksmusikalischen Darbietungen eingewoben wird: heißer Sex und prickelnde Erotik.
Wenn die Reklamefuzzis damit Antiblähungsjoghurt, Treppenlifts, Haftmittel und geruchsbindende Unterhoseneinlagen unter die Leute bringen, warum nicht auch menschliche Einsichten?
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