war lange Jahre Lehrer an der Pestalozzi-Grundschule in Durlach.
Er war ein agiler kleiner Mann mit lockigen Haaren, stets korrekt mit Anzug und Krawatte und rastlos bemüht, den Kleinen etwas Sinnvolles beizubiegen.
Neben Lesen, Schreiben und Rechnen war sein Anliegen, jeden neuen Schwung Kinder mit Tieren und Pflanzen der Umgebung anzufreunden; er brachte Kröten und Mäuse in den Unterricht und unternahm mit den Schülern regelmässig kleine Wanderungen. Heimatkunde eben.
Vor vielen Jahrzehnten stand auch der Verfasser als banger kleiner Wicht auf dem Schulhof, leider ohne Tüte, die wurde von der überarbeiteten Mutter abends nachgereicht.
In den folgenden vier Jahren war Herr Gimber neben Vadder der wichtigste Mann in seinem Leben, und trotz einiger Missklänge ging er gern in die Schule. Niemand hatte ihm die Bedeutung von Hausaufgaben erklärt, den verhängten Arrest schwänzte er uneinsichtig, die Mutter musste nach der Arbeit in die Schule kommen und danach gab es mit dem Kleiderbügel eine historische Tracht Prügel; pädagogisch wertlos, da nicht recht einsichtig. Nun ja, der Krieg war ja noch nicht sooo lange her...
Herr Gimber riss ihm irgendwann mal im Vorbeigehen ein ganzes Büschel Haare aus und erschrak wohl selbst darüber, aber im Großen und Ganzen waren sie Freunde. Er konnte bei immerhin 40 Schülern den Müttern klarmachen, wer eine Brille braucht, wer sich öfter waschen sollte und wer im Gymnasium eine Chance hat. Grundlegende Sachen.
Kaum war die Grundschule vorbei, war Herr Gimber vergessen. Ein paar Jahre später hatte man auch den letzten seiner Schulkameraden aus den Augen verloren. Jahre wurden zu Jahrzehnten.
Irgendwann jedoch gegen die Jahrtausendwende traf man sich im Whirlpool einer mittlerweile geschlossenen Durlacher Badeanlage wieder. Herr Gimber, in körperlich guter Form, strampelte entspannt mit den Beinen und unterhielt sich ein paar Minuten erfreut über die alte Zeit, bevor er sich verabschiedete.
In den Jahren darauf war er hie und da mit seinem riesigen schwarzen Herrenfahrrad und meistens einer Aktentasche oder einem Rucksack zu sehen, noch immer im grauen Anzug und mit Krawatte. Er hatte wohl zeitlebens nie ein Auto besessen.
Und letzten Dezember schliesslich sah der Verfasser seinen alten Lehrer wieder, im Vorbeifahren.
Herr Gimber, angezogen mit einem alten Frauenpelzmantel und einer ähnlichen Pelzmütze auf dem Kopf, die Augen schauten wie ratlos aus tiefen Höhlen, das Gesicht bleich mit weißen Bartstoppeln, ging mit den Trippelschrittchen eines sehr alten Menschen nicht weit von seiner Wohnung spazieren.
Der Verfasser, in den letzten Jahren waren seine Eltern gestorben, hatte über diesen Anblick keine Ruh mehr. Er schaute sich am folgenden Tag Herrn Gimbers Mietshaus an, ein ärmlicher langgestreckter typischer Genossenschaftsbau mit kleinen billigen Wohnungen, in dem er wahrscheinlich den größten Teil seines Lebens verbracht hatte und fragte einen Nachbarn.
Ja, man kenne Herrn Gimber schon lange; er habe zwei Söhne und seine Frau sei vor vielen Jahren gestorben, aber in letzter Zeit habe man ihn auch nicht gesehen.
Nach einigen Tagen Nachdenkens kaufte sein alter Schüler eine Weihnachtskerze und klingelte an einem Samstag Morgen um 10.00 an seiner Haustür. Alles dauerte sehr lange, eine Frau aus dem Haus musste die untere Tür aufschliessen und hinter seiner Wohnungstür gab es ein langes Schlurfen und Schlüsselklappern, bis der kleine alte Mann im Nachthemd seine Wohnung öffnete. Verwirrt und pflichtbewusst entschuldigte er sich, er sei so lange aufgewesen und sei deshalb noch im Bett geblieben. Sein Schüler stellte sich vor, drückte ihm die Samstagszeitung und die Kerze in die Hand und überschüttete ihn mit fürsorglichen Fragen, für Herrn Gimber war natürlich alles zu viel. Doch er machte einen klaren Eindruck und lehnte die Hilfsangebote höflich dankend ab. Ja, er bemerke jetzt auch die Last des Alters, ja, er habe Hilfe, danke.
Sein alter Schüler zog sich zurück und schrieb ihm am folgenden Tag noch eine Karte mit einem Erklärungsversuch und guten Wünschen.
Es gab natürlich keine Antwort.
Herr Gimber, mögen sie noch viele lange Nächte und verschlafene Vormittage erleben!
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